Ernst Harnischfeger fährt seit 50 Jahren Reisebus
Main-Echo Pressespiegel

Ernst Harnischfeger fährt seit 50 Jahren Reisebus

Jubiläum: Ernst Harnischfeger ist seit 50 Jahren für die KVG als Busfahrer in ganz Europa unterwegs
Schöllkrippen  "Ein Bus­fah­rer muss auch et­was Ka­ba­ret­tist sein. Das ge­hört da­zu." Wenn man Ernst Har­nisch­fe­ger zu­hört, glaubt man ihm das so­fort. Die Ge­schich­ten und An­ek­do­ten spru­deln nur so aus ihm her­aus. Man will es kaum glau­ben, dass der le­bens­lus­ti­ge Mann, der ei­nem in sei­nem Haus in Sch­nep­pen­bach ge­gen­über sitzt, im März 73 Jah­re alt wird. Und ge­ra­de sein 50-jäh­ri­ges Ju­bi­läum als Bus­fah­rer bei der Kahl­grund Ver­kehrs­ge­sell­schaft KVG fei­ert.

Die KVG in Schöllkrippen ist für ihn heute noch wie eine große Familie. Am 1. Januar 1973 hat er bei ihr angefangen, am 11. März dann erstmals am Steuer eines Busses gesessen. Und im Mai ging es gleich auf große Fahrt: nach Paris. Harnischfeger: "Ich kam aus Schimborn, und fuhr mit dem Bus in eine Stadt mit zwölf Millionen Einwohnern. Das war für mich eine andere Welt."

Er weiß noch genau, dass er damals mit dem Bus auf dem Montmatre stand, auf den man damals noch fahren durfte, und die Stadt überblickte. "Hoffentlich finde ich da wieder hinaus", sei sein Gedanke gewesen. Doch das war kein Problem. Denn Stadtpläne und Straßenkarten lesen fiel ihm schon immer leicht. Er konnte sich auch Routen leicht einprägen, denn es gab noch keine Navigationsgeräte.

Überhaupt war das Busfahren damals noch Schwerstarbeit, ohne Lenk- und Bremsunterstützung oder Klimaanlage - und dann bei 30 Grad Hitze eine achtstündige Stadtrundfahrt. "Da ist man abends ausgestiegen und hat deutlich gemerkt, dass die Muskeln wieder ein Stück gewachsen waren."

Für ihn sei mit seinem Beruf ein Traum in Erfüllung gegangen. In die weite Welt hinausfahren, nach Sizilien, Griechenland, Portugal, bis Marokko oder ans Nordkap. Damals war Reisen noch ein Luxus, den sich nur wenige leisten konnten. Paris und Prag sind heute noch seine Lieblingsstädte. Beide habe er sicher schon 40 bis 50 Male besucht. Das alte Prag sei ihm immer wie ein Dornröschenschloss erschienen. Und die Grenze bildete dabei die Dornenhecke.

Harnischfeger erinnert sich noch heute, wie er das erste Mal in Frankreich Austern gegessen hat, und dann erfuhr, dass diese lebend gegessen werden. Oder wie eine französische Reiseleiterin entsetzt war, als er zum Essen Cola bestellte, und ihm quasi die ersten Lektionen in Sachen Wein gab. Heute ist Harnischfeger bekennender Weinliebhaber, der auch spezielle Genussreisen organisiert.

Besonders dankbar ist Ernst Harnischfeger aber dem früheren Leiter der Volkshochschule Kahl, Gerd-Peter Lux, mit dem ihn heute noch eine innige Freundschaft verbindet. Er habe in ihm die Leidenschaft für das Reisen erst richtig geweckt. 1975 führte die erste VHS-Studienreise in die Provence. Inzwischen war er bei fast 100 Studienreisen als Fahrer mit dabei. Harnischfeger: "Wir waren in über 30 Jahren etwa 200.000 Kilometer unfallfrei unterwegs."

Wichtig war es ihm dabei, sich immer als ein Teil der Reisegruppe zu fühlen. Als geschichtlich interessierter Mensch habe er alle Führungen mitgemacht. Währenddessen im Bus zu bleiben, und die Zeitung zu lesen, kam nicht in Frage. Auch beim Essen wollte er immer mit der Gruppe am Tisch sitzen.

Ein Erlebnis ist ihm besonders in Erinnerung geblieben. Als der Bus in Griechenland eine Panne hatte, und das zu einer Zeit, als Griechenland wegen seiner Schulden überall in Deutschland angegriffen wurde, habe jedes zweite Auto gehalten und der Fahrer gefragt, ob er helfen könne. Schließlich seien sie in einer kleinen Werkstatt gelandet. Dessen Besitzer habe nicht nur den Bus repariert, sondern auch für alle Reisenden ein griechisches Büffet mit Wein, Fisch und Spezialitäten organisiert. Und dann habe er sich geweigert, Geld für Essen oder Reparatur anzunehmen. Harnischfeger: "Für mich ist es unverständlich, weshalb so viele Menschen Ausländer hassen. Ich habe überall Freunde."

Heute kann sich Harnischfeger seine Touren aussuchen. Von zehn Touren, die er in diesem Jahr fährt, sind sechs schon ausgebucht. Meist mit Leuten, die schon viele Jahre mit ihm verreisen. Etwa der akademische Zirkel, der schon das zehnte Mal dabei ist. Auch das Landratsamt bucht ihn öfters, etwa für Besuchergruppen. Während der Pandemie, als keine Reisen möglich waren, hat er den Schnelltestbus des Kreises gefahren und dabei Landrat Alexander Legler kennengelernt.

Seit vielen Jahren bildet er bei den Touren mit seinem Freund und Kollegen Josef Häcker ein Team, wobei Häcker 90 Prozent der Zeit am Steuer sitzt. Harnischfeger fährt nur dann, wenn dieser die gesetzlichen Ruhezeiten einhalten muss, denn da werde inzwischen streng kontrolliert. Stattdessen übernimmt er die Reiseleitung und -organisation, kauft zum Beispiel für das mittägliche Picknick ein.

Im kommenden Jahr muss Ernst Harnischfeger altersbedingt seinen Busführerschein abgeben. Was macht er dann? "Dann erkunden ich und meine Lebensgefährtin mit Wohnmobil und Fahrrad meine bisherigen Ziele noch genauer." Damit komme er an Orte, die mit einem Reisebus nicht möglich waren. Denn wie lautet sein Lebensmotto: "Reisen ist Leben und Leben ist schön."

03.02.2023
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