»Früher reichte ein Ordner für Alle«
Main-Echo Pressespiegel

»Früher reichte ein Ordner für Alle«

Tagespflege: Claudia Backert, Sybille Schneider, Sandra Becker und Horst Wehl über die Arbeit in Corona-Zeiten
SCHÖLLKRIPPEN 

Sybille Schneider (34) leitet seit Jahresbeginn die Seniorentagespflege der Caritas-Sozialstation St. Hildegard, die in Schöllkrippen ansässig ist. Die Nachfolge von Claudia Backert (64) trat sie kommissarisch bereits im März vergangenen Jahres an - mitten in den ersten Wirren der Corona-Pandemie. Unsere Mitarbeiterin Marion Stahl traf sich - nach negativem Corona-Schnelltest - mit beiden sowie mit der Pflegedienstleiterin Sandra Becker (44) und dem Vorsitzenden Horst Wehl (54).

So ein wichtiger Personalwechsel mitten in einer Pandemie, die gerade die älteren Menschen bedroht, die hier in der Tagespflege betreut werden - wie hat das funktioniert?

Horst Wehl: Der Wechsel wurde schon längere Zeit vorbereitet, da Frau Backert Ende 2020 offiziell in den Ruhestand gehen wollte. Frau Schneider war daher eingearbeitet und hatte die notwendigen Prüfungen bestanden, als sie überraschend schon im März übernehmen musste.

Wie blicken Sie zurück auf Ihre 20 Jahre als Leiterin der Seniorentagespflege?

Claudia Backert: Ich war immer mit Herzblut dabei, denn für mich war die Tagespflege wie mein Kind. Ich sehe das so: Es ist jetzt erwachsen geworden und ich lasse es los, damit es auf eigenen Füßen stehen kann. Es ist gut zu wissen, dass die Tagespflege weiterhin in guten Händen sein wird. Denn nur wenn es innerhalb des Personals stimmt, fühlen sich unsere Gäste wohl.

Was hat sich verändert in diesen beiden Jahrzehnten?

Claudia Backert: Die Arbeit mit den Tagesgästen ist am schönsten, denn wenn sie am Abend heimgehen und sich freuen über den Tag, gibt das Kraft. Die Arbeit hat sich aber verändert. Anfangs waren die Gruppen noch klein und die Gäste viel gesünder als heute. Heute sind unsere Gäste meist Hochbetagte, von denen viele an Demenz erkrankt sind und daher viel Pflege brauchen. In negativer Erinnerung behalte ich die zunehmende Bürokratisierung: Früher reichte ein Ordner für alle Gäste, heute braucht man einen Ordner pro Gast, weil wir im Grunde ebenso geprüft werden wie eine stationäre Einrichtung.

Kaum hatten Sie dann im März übernommen, kam die Pandemie. Wie war das damals?

Sybille Schneider: Wir haben damals für ungewisse Zeit schließen müssen. Für die Angehörigen war das nicht leicht, denn sie mussten die Betreuung daheim ganz übernehmen. Wir haben deshalb immer Kontakt gehalten. Beispielsweise haben die Kinder von unserem Personal und die Schulklasse von Frau Wehl Regenbogenbilder für unsere Gäste gemalt. Jetzt ist es besser, denn da die Tagespflege offen ist, sind auch die Angehörigen entlastet. Für unsere Gäste hatte die Schließung insgesamt keine negativen Folgen, denn die Defizite, die im Frühjahr entstanden sind, konnten wir wieder ausgleichen.

Claudia Backert: Das Schlimmste für sie ist, dass sie nicht singen dürfen. Das Singen von alten Liedern ist ein Ausdruck von Freude und geht immer, auch wenn die Worte zum Sprechen fehlen.

Wie sieht momentan der Alltag in der Seniorentagespflege aus?

Sybille Schneider: Um die Abstände einzuhalten, sind viel weniger Gäste da. Als wir im Mai vergangenen Jahres wieder aufgemacht haben, kamen etwa acht Gäste täglich. Da wir inzwischen die Räume neu aufgeteilt haben, können täglich 16 Gäste kommen. Sie tragen Masken, müssen Hände waschen und es wird täglich die Temperatur kontrolliert. Neue Gäste müssen einen negativen PCR-Test nachweisen.

Was muss das Personal beachten?

Sybille Schneider: Seit November haben wir ein Messgerät für Kohlendioxid, das uns beim Lüften unterstützt. Wir als Personal tragen schon seit August die FFP 2-Masken und müssen beispielsweise darauf achten, dass wir für den näheren Kontakt mit einem Gast am Tag immer den gleichen Kittel tragen. Drei Mal in der Woche werden wir auf Corona getestet. Vieles, auch das ständige Desinfizieren oder das Aufhängen der Masken zum Trocknen, damit wir sie öfter tragen können, ist sogar schon ein bisschen Gewohnheit geworden.

Horst Wehl: Das Konzept insgesamt funktioniert so gut, dass wir bisher keinen positiven Corona-Fall hatten.

Wie laufen die Corona-Tests für das Personal ab?

Horst Wehl: Dabei handelt es sich um Schnelltests, die hier im Haus gemacht werden. Sie werden immer nur von den Personen durchgeführt, die dafür eingewiesen wurden. Wegen der hohen Anzahl hilft uns seit kurzem einmal in der Woche die Wasserwacht.

Sybille Schneider: Wir sehen dann aus, wie man es aus dem Fernsehen kennt: Wir tragen einen Kittel und Handschuhe, Maske und Faceshield. Der Abstrich erfolgt im Rachen oder in der Nase, das Ergebnis haben wir innerhalb von fünf Minuten.

Wie viele Schnelltests braucht die Sozialstation in der Woche, wer trägt die Kosten dafür und für alles Übrige, und wo gibt es besondere Schwierigkeiten?

Sandra Becker/Sybille Schneider/Horst Wehl: Wegen der Einteilung des Personals in Dienstpläne wird nicht jeder ständig getestet. Aber wir brauchen etwa 200 Schnelltests pro Woche. Der Preis dafür ist festgelegt, die Kosten übernehmen die Krankenkassen. Ansonsten wird über einen Rettungsschirm der Ausfall in der Tagespflege (es kommen weniger Gäste als sonst) teilweise aufgefangen. Darüber abgedeckt sind auch die Personalkosten und die Anschaffung der Schutzausrüstung. Die Beschaffung von Material war anfangs sehr schwierig, weil die Preise extrem hochgegangen sind. Jetzt ist es besser. Die größte Hürde sind aber die gesetzlichen Vorgaben. Es kommen praktisch täglich neue Regeln und viele davon sind nicht eindeutig formuliert, so dass man ständig nachfragen muss.

Wie sieht es eigentlich mit Impfungen aus?

Sandra Becker: Bei den Mitarbeitern waren am Anfang die Unsicherheit und die Angst sehr groß. Durch Aufklärung, unter anderem durch den Betriebsarzt, und das hohe Verantwortungsgefühl hat sich das geändert. Anfang Januar wurden die ersten 15 Mitarbeiter geimpft. Inzwischen sind es fast 70 bis 80 Prozent und der Rest wird sich auch noch impfen lassen.

Sybille Schneider: Da wir eine teilstationäre Einrichtung sind, müssen unsere Gäste sich selbst darum kümmern. Sie haben sich aber registrieren lassen. Der erste Termin im Impfzentrum ist Ende Februar.

Wie geht es dem Personal angesichts dieser schwierigen Situation?

Sybille Schneider/Horst Wehl: Nervlich sind schon viele am Ende. Aber wir arbeiten alle gut zusammen. So leisten alle täglich eine super Arbeit und sind voller Eifer dabei.

Zu den Personen: Claudia Backert und Sybille Schneider

Claudia Backert (64) kam am 15. Januar 1987 als examinierte Krankenschwester zur Caritas-Sozialstation St. Hildegard, die damals noch ihren Sitz in Mömbris hatte. Als 2001 die Seniorentagespflege im historischen Sackhaus in Schöllkrippen eröffnet wurde, übernahm sie deren Leitung. Die Suche nach einer geeigneten Nachfolgerin endete bereits vor einiger Zeit erfolgreich in den eigenen Reihen: Sybille Schneider(34)arbeitet seit 2004 in der Sozialstation. Sie ist verheiratet, hat ein Kind und wohnt im oberen Kahlgrund. Um Pflegedienstleiterin werden zu können, begann Schneider 2017 mit der entsprechenden Weiterbildung im Fernstudium. Die Prüfung bestand sie 2019 - rechtzeitig, um Anfang März vergangenen Jahres kommissarisch die Leitung zu übernehmen, als Backert aus familiären Gründen unerwartet ausfiel. Der offizielle Wechsel vollzog sich, nachdem Backert zum 31. Dezember 2020 in den Ruhestand ging. Sobald Corona das zulässt, soll sie gebührend verabschiedet werden. ()

Hintergrund

» Für mich war dieTagespflege wie mein Kind. «

Claudia Backert,Leiterin Seniorenpflege i.R.

Hintergrund

» Drei Mal in der Wochewerden wir aufCorona getestet. «

Sybille Schneider,Leiterin Tagespflege

Hintergrund: Aus der Historie der Sozialstation St. Hildegard

Die Caritas-Sozialstation St. Hildegard wurde 1981 in Mömbris gegründet. Benannt ist sie nach Hildegard von Bingen. Das 40-jährige Bestehen soll daher voraussichtlich im September oder Oktober gefeiert werden.

2001, ein Jahr nach dem Umzug des Hauptsitzes ins historische Sackhaus in Schöllkrippen, wurde die Seniorentagespflege eröffnet. 2017 wurde sie von 18 auf 26 Tagesplätze erweitert. Die Tagespflege ist täglich geöffnet - auch während Corona; am Wochenende sind sogar noch Plätze frei. Bestand das Pflegeteam anfangs aus vier Schwestern, werden heute 62 Mitarbeiter in der ambulanten Pflege und 25 Mitarbeiter in der Seniorentagespflege gezählt. Auf die erste Pflegedienstleiterin Monika Thoma folgten Gabriele Würstlein (1985 bis 2009), Carina Merz (2009 bis 2017) und Sandra Becker (seit 2018). Claudia Backert war von Beginn an die Leiterin der Seniorentagespflegestätte. Sybille Schneider trat ihre Nachfolge zum 1. Januar 2021 an.

Die Sozialstation ist ein eingetragener Verein, an dessen Spitze anfangs Konrad Bendiek (Mömbris) stand. Vorsitzender seit 2001 ist Horst Wehl (Schneppenbach). Zum Einzugsgebiet gehören der Markt Mömbris, die Gemeinde Geiselbach und die Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft Schöllkrippen (außer Wiesen). Unterstützt wird sie von den örtlichen Krankenpflege- und Fördervereinen. ()

23.02.2021
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